Alter, Krankheit und Tod
Bekanntlich wuchs der historische Sidhattha Gotama wohlbehütet am Hof seines Vaters auf. Als er eines Tages Ausflüge in die Umgebung machte, begegnete ihm ein zitternder grauhaariger Greis, dessen Lebensspanne bald ablaufen würde. Sein Wagenlenker erklärte ihm, dass auch er einst ein Greis sein und sterben werde. Bei weiteren Ausflügen traf er einen Kranken, einen Toten und einen Mönch. Sidhattha war sehr erschreckt und erkannte, dass es kein Dasein ohne Alter und Tod gibt und entschloss sich, zum Wohl aller Wesen den Grund für diese Leiden und einen Ausweg aus dieser Situation zu finden. Wir können wir uns nur schwer an Alter, Krankheit und Tod gewöhnen, da wir keine Möglichkeit sehen, deren Erscheinen zu verhindern. Aber nicht nur gewöhnliche Menschen, sondern auch edle Menschen wie Buddhas und Arahats können Alter, Krankheit und Tod nicht überwinden.
Buddha erkannte zunächst, dass die Ursache dieser Leiden nicht nur die Vergänglichkeit (anicca) und Ichlosigkeit (anatta) sind, sondern vor allem falsche Einsicht in die Gegebenheiten, nämlich 1) Asubhe subha saññā, wir nehmen etwas Unschönes/Unreines als Schönheit/Reinheit wahr. 2) Dukkhe sukkha saññā, wir halten etwas für Glück, obwohl es Leiden ist. 3) Anicce nicca saññā, auch wenn etwas vergänglich ist, denken wir, dass es ewig unveränderlich bestehen bleibt. 4) Anatte atta saññā, wir glauben, dass etwas kontrollierbar ist, was in Wirklichkeit unkontrollierbar ist. Wir nehmen nicht die Fakten an sich – Alter, Krankheit und Tod – wahr, sondern beurteilen (vipallāsā) sie subjektiv. Diese falsche Beurteilung verursacht ist die Ursache unseres Leidens. So gilt es, die Ursache unserer falschen Ansicht zu überwinden, sondern unsere falschen Ansichten (vipallāsā) über diese Tatsachen. Es gilt also zunächst, die Ursache diese falschen Ansichten nicht nur zu verstehen, sondern auch mit Aufmerksamkeit aufzuspüren.
Dazu hat Buddha im „Satipatthana Sutta“ die vier Grundlagen der Achtsamkeit aufgezeigt. So hilft uns die Körperbetrachtung (kayanupassana), unseren Körper zu spüren. Wir erkennen dabei, wie die Wirklichkeit dessen ist, was wir uns als Schönheit oder Glück vorstellen. Betrachten wir dann weiterhin aufmerksam die 32 Körperteile, so
wird uns deren Ursache und Wirkung bewusst. Das ist nicht immer so schön, wie wir uns das vorstellen. Die Betrachtung der Gefühle (vedanânupassanâ) und der Geistobjekte (dhammânupassanâ) hilft uns zu erkennen, dass das, was wir uns als (sukha) Glück vorstellen, in Wirklichkeit Leiden ist. Lieben wir beispielsweise unsere Familie sehr und sind sehr glücklich, stürzt uns der Tod – die Vergänglichkeit – eines Familienmitglieds in untröstliche Verzweiflung. Weder Glückseligkeit, noch Verzweiflung sind von Dauer.
Auch die Betrachtung des Bewusstseins (cittânupassanâ) lässt uns dessen Unbeständigkeit spüren. Uns wird die Vergänglichkeit (nicca) aller Phänomene bewusst. So heißt es:
„Wer die Unpersönlichkeit des ganzen Daseins nicht durchschaut hat und nicht erkennt, dass es in Wirklichkeit nur diesen beständig sich verzehrenden Prozess des Entstehens und Vergehens geistiger und körperlicher Daseinsphänomene gibt, aber keine Ich-Wesenheit in oder hinter diesen Daseinserscheinungen, der ist außerstande, die vier Edlen Wahrheiten (ariya sacca) im richtigen Lichte zu erfassen.“
Die vier edlen Wahrheiten (ariya sacca), nämlich die Wahrheit vom Leiden, von der Leidensentstehung, der Leidenserlösung und dem zur Leidenserlösung führenden Pfad, sind die Grundlage des Buddhismus. Buddha hat – wie ein Arzt – die Leiden verursachenden Symptome aller Wesen diagnostiziert und Möglichkeiten gefunden, das Leiden zu beheben. Dazu gehört zunächst, dass der leidende „Kranke“ selbst erkennt, dass und woran er leidet, nämlich an den drei Daseinsmerkmalen (ti-lakkhana): „Vergänglichkeit“ (anicca), Unzulänglichkeit (dukkha) und Unpersönlichkeit (anattâ). Um diese Daseinsmerkmale wirklich zu erfahren, hat Buddha die „Grundlagen der Achtsamkeitsübungen“ (satipatthana) dargelegt. So heißt es:
„Nur einen einzigen Weg gibt es, der zu der Wesen Reinheit führt, zur Überwindung von Sorge und Jammer, zum Untergange von Schmerz und Kummer, zur Gewinnung des rechten Pfades und zur Verwirklichung des Nirwahns.“
Der erste Schritt auf diesem Weg ist die achtsame Betrachtung des Körperlichen, die Betrachtung der Gefühle, die Betrachtung des Bewusstseins und die Betrachtung der Geistesobjekte.
Untersuchen wir beispielsweise die Augen, als Grundlage von Geistesprozessen. Wenn sie funktionieren, nehmen wir sie kaum wahr. Im Laufe des Lebens wird ihre Funktion aber beeinträchtigt. Erst jetzt wird uns bewusst, dass sie mehrere Ursachen haben. Sie sind entstanden, haben sich verändert und „vergehen“. Sie verändern sich von Sekunde zu Sekunde, so dass wir uns unseres Augenleidens immer deutlicher bewusst werden. Wir leiden, wenn wir eine Augenkrankheit haben. Und wir sind untröstlich, wenn die Augen irgendwann nichts mehr sehen können. Deswegen sagte Buddha, dass die Augen – ebenso wie die anderen fünf Sinne – zu Leiden führen, zumal sie entstehen, funktionieren, aber auch vergänglich sind. Alles was entstanden ist, verändert sich und vergeht auch wieder. Auch wir selbst sind auf Grund von Bedingungen entstanden, werden älter und sterben. So heißt es:
„.. was immer entsteht, entsteht in Abhängigkeit von Bedingungen, und ohne diese Bedingungen kann nichts zum Entstehen kommen.“
Unter diesem Gesichtspunkt sollten wir auch Alter, Krankheit und Tod betrachten. „Durch Geburt bedingt ist Altern und Sterben. […] Also ist die Geburt der Anlass zum Altern, Sterben und Leiden.“
Die Ursache einer – menschlichen – Geburt ist nicht nur die Vereinigung eines Mannes und einer Frau. Es muss auch noch das Bewusstsein (gandhabba) eines Wesens vorhanden sein, das auf Grund seines Karmas1 (Wirken,Tat) bereit ist, wiedergeboren zu werden (bhava). Dieser Wille entsteht durch Anhaftung (upādāna). Die vier Anhaftungsgruppen sind: sinnliches Anhaften (kāmūpādāna), Anhaften an Ansichten (ditthupādāna), an Regeln und Riten (sīlabbatupādāna) und am Persönlichkeitsglauben (attavādupādāna). Anhaften entsteht durch Verlangen/Durst (tanhā), Durst entsteht durch Gefühl (vedana), Gefühl entsteht durch Kontakt (phassa), Kontakt entsteht durch Nāmārūpa (Geistiges und Form). Nāmārūpa entsteht durch das Bewusstsein (viññāna), denn ohne Geistiges und Form/Körper kann es kein Bewusstsein geben. Somit bedingen sich Geistiges und Körperliches (nāmārūpa) und das Bewusstsein (viññāna) gegenseitig. Da Bewusstsein (viññāna) ist gemäß der Lehre von der bedingten Entstehung (paticcasamuppāda) durch Karmaformationen (sankhāra) bedingt, die durch Unwissenheit (avijja) entstehen. Schwindet die Unwissenheit, sodass Begehren und Anhaften nicht mehr stattfinden, ist auch das Leiden nicht mehr vorhanden.
Buddha erklärte, dass Alter, Krankheit und Tod zu Weisheit führe. Er verwendet dabei den Begriff „pajanati“. Janati bedeutet Wissen, pajanati bedeutet tiefe und vielfältige Erfahrung. Betrachten wir Alter, Krankheit und Tod, so sind damit nicht nur Menschen, sondern Wesen aller Welten wie der Sinneswelt (kāmāloka), der feinkörperlichen (rūpaloka) und unkörperlichen Welt (arūpaloka) gemeint.
Im Samyutta Nikaya werden interessante Gespräche mit Nakulapita angeführt. So hatte der Haushälter Nakulapita eine sehr enge Beziehung zum Buddha, denn er hatte Buddha und die Mönche früher oft besucht und mit ihnen diskutiert. Als er alt geworden war, besuchte er den Buddha erneut und sagte, dass er Buddha und seine Mönche nicht mehr so oft wie früher besuchen könne. Er sei jetzt alt und krank. Er hat Buddha gebeten, ihm einen guten Rat zu geben, wie er seine Krankheit überwinden und wieder Freude in seinem Leben haben könne. Buddha sagte, dass sein Körper jetzt gebrechlich und empfindlich wäre. Dass es eine Torheit sei, den Körper auch nur einen Augenblick als krankheitsfrei anzusehen. Er gab ihm den Rat, auf folgende Weise zu üben und achtsam folgende Worte zu rezitieren: „Obwohl mein Körper krank ist, wird mein Geist, wenn er achtsam ist, gesund (nicht krank) sein.“
Danach hat der ehrwürdige Sariputta zu Nakulapita über die fünf Daseinsgruppen (kandhas) gesprochen. Er sagte ihm, wie er diese nicht betrachten solle: „Ich bin die Körperlichkeit, mein ist die Körperlichkeit.“ Denn wenn sich dann die Körperlichkeit verändere und wandele, dann entstehe in ihm Kummer, Jammer und so weiter. Er solle die Gefühle als Nicht-Ich und die Wahrnehmung als Nicht-Ich, sowie auch die Gestaltungen und das Bewusstsein nicht derart betrachten. Wenn er sie nicht als Ich betrachte, machten ihn Alter und Krankheit nicht traurig. Aufgrund der Naturgesetze werde alles was entstanden ist, wieder vergehen.
Wie anfangs ausgeführt, machen alle Wesen die Erfahrung von Alter, Krankheit und Tod, denn wer geboren wird, erleide naturgemäß Alter, Krankheit und Tod. Diese Phänomene selbst sind an sich weder gut noch schlecht. Gewöhnlich sind wir jedoch traurig, unzufrieden und verzweifelt, wenn wir krank werden oder gar den Tod vor Augen haben. Hat jemand jedoch die fünf Daseinsgruppen (kandhas) durchschaut, erkennt er, dass sie naturgemäß zu seinem Körper gehören. Es besteht also kein Grund, unzufrieden zu sein.
Deswegen wollen wir insbesondere den eigenen Körper achtsam betrachten. Alter, Krankheit und Tod seien „Himmlische Botschaften“, die uns ermöglichen, die Ursache und Wirkung natürlicher Gegebenheiten zu erkennen, sagte Buddha. Diese Wahrheit hilft uns, nicht mehr zu leiden und Weisheit zu erfahren, sondern über unser Dasein als Mensch glücklich zu sein.
Bhante Puññaratana
1 „Der karmische Wille (kamma-cetana) äußert sich in körperlichen Taten (kaya-kamma), Worten (vací-kamma) oder bloß in Gedanken (mano-kamma). Karma bedeutet also keineswegs nur das Ergebnis des Wirkens.“
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